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AutorenbildProf. Dr. Julia Hartmann

Zuckerbrot oder Peitsche? Das geplante deutsche Lieferkettengesetz

Aktualisiert: 24. Juli 2020

Aktuell plant die Bundesregierung in Deutschland ein Lieferkettengesetz, das Unternehmen ab einer bestimmten Größe (500 Mitarbeiter) dazu verpflichten soll, sich mehr für den Schutz von Menschen und Umwelt in ihren global verzweigten Lieferketten sicherzustellen. Der aktuelle Entwurf sieht vor, dass Unternehmen zivilrechtlich in Haftung genommen werden können, sollten sie ihrer Sorgfaltspflicht nicht nachkommen, Risiken für Mensch und Umwelt in der Lieferkette zu identifizieren und mit entsprechenden Maßnahmen vorzubeugen.


Bei der Wirtschaft kommt dieser Ansatz der Peitsche nicht gut an. Unternehmen fühlen sich überfordert und weisen darauf hin, dass sie nicht für das Verhalten Dritter in Haft genommen werden sollten, auf die sie gar keinen Zugriff haben. Die Bundesregierung hält dagegen, dass man es jahrelang mit der freiwilligen Selbstverpflichtung versucht hat (Zuckerbrot), aber damit nicht weitergekommen sei: Nur knapp 20% der Unternehmen kommen heute der freiwilligen Selbstverpflichtung nach. Ziel wären 50% gewesen.


Ziele

Was genau erwartet die Bundesregierung von Unternehmen? Sie sollen

1. eine Grundsatzerklärung zur Achtung der Menschenrechte formulieren,

2. ein Verfahren zur Ermittlung tatsächlicher und potenziell nachteiliger Auswirkungen auf die Menschenrechte und die Umwelt implementieren,

3. Maßnahmen zur Abwendung negativer Auswirkungen und zur Überprüfung der Wirksamkeit dieser Maßnahmen definieren,

4. darüber berichten

5. und einen Beschwerdemechanismus implementieren.


Eigentlich klingen diese Erwartungen nicht allzu kompliziert. Dass Unternehmen eine Grundsatzerklärung über ihre Haltung zu Menschenrechten und Umweltschutz abgeben, scheint weder besonders abwegig noch besonders schwierig. Die Punkte 2 und 3 stellen Inhalte eines klassischen Risikomanagements dar, welches Unternehmen sowieso implementieren sollten und Unternehmen mit über 500 Mitarbeitern sind außerdem ohnehin gesetzlich verpflichtet (im Sinne von comply or explain), über ihre Aktivitäten in den Bereichen Umwelt und Soziales zu berichten.


Herausforderungen

Was sind also konkret die Sorgen der Wirtschaft in Bezug auf das Lieferkettengesetz?

1. Fehlende Transparenz: Die Unternehmen weisen erstens darauf hin, dass sie zwar ihre direkten Lieferanten benennen können, aber aufgrund der Komplexität der Wertschöpfungsketten kaum Informationen über indirekte Lieferanten haben. Dementsprechend können sie Risiken in der Lieferkette weder genau identifizieren, noch geeignete Gegenmaßnahmen ergreifen.

2. Fehlende Ressourcen: Zweitens fehlen den Unternehmen häufig finanzielle und personelle Ressourcen, um komplexe Überwachungs- und Kontrollmechanismen zu implementieren.

3. Unterschiedliche regulatorische Rahmenbedingungen: Letztlich weisen Unternehmen darauf hin, dass sich Lieferanten in unterschiedlichen Ländern befinden und die gesamte Wertschöpfungskette damit unterschiedlichen Regularien unterworfen ist. Damit variiert die jeweilige Gesetzeslage und das Menschenrechtsverständnis teilweise erheblich.



Lösungen

Zur Lösung des Problems der fehlenden Transparenz:

Das Problem der fehlenden Transparenz in der Lieferkette haben alle Unternehmen, nicht nur die deutschen. Einige Vorreiter in Sachen Nachhaltigkeit in globalen Wertschöpfungsketten gehen daher kaskadenweise vor: Sie definieren Strategien und Ziele für Umwelt und Soziales mit ihren direkten Lieferanten und vereinbaren mit diesen, wiederum genauso mit ihren Lieferanten zu verfahren. Im Ergebnis diffundiert Nachhaltigkeit so durch die Lieferkette.

Zwei Bedingungen sind dafür allerdings notwendig. Erstens, es muss sich für die Lieferanten lohnen. Die Beachtung von Umwelt- und Menschenrechtsbelangen ist auch für Lieferanten mit Kosten verbunden. Dementsprechend müssen sie für ihre Anstrengungen entlohnt werden – z.B. durch den Status als ‚preferred supplier‘ und durch langfristige Lieferbeziehungen. Zweitens müssen auch die einkaufenden Unternehmen zu ihrem Wort stehen. Die Forderung nach Umwelt und Sozialem bedingt, dass diese Kriterien adäquat in das Zielsystem des Einkaufs eingebunden werden. Denn: Wer auf die Einhaltung bestimmter Arbeitszeiten beim Lieferanten pocht, aber eine Bestellung mit dem Lieferziel ‚morgen‘ aufgibt, darf sich nicht wundern, wenn der Lieferant Überstunden anordnet.

Zur Lösung des Problems der fehlenden Ressourcen:

Unternehmen unterziehen ihre Lieferanten ohnehin einem Freigabeprozess vor der ersten Lieferung und in einer langfristigen Lieferbeziehung gehören Besuche vor Ort zum Arbeitsalltag eines Einkäufers. Diese Standardprozesse können um Umwelt und Soziales erweitert werden. Unternehmen sparen außerdem, wenn sie sich Vereinigungen anschließen, welche bei diesen Themen unterstützen. Dadurch wird die Arbeit auf mehrere Schultern verteilt und in Summe werden Anforderungen für alle Beteiligten einheitlicher. Als Beispiele sind zu nennen: Die Responsible Business Alliance, das Carbon Disclosure Project oder Ecovadis, sowie zahlreiche industriespezifische Verbände wie die Sustainable Apparel Coalition. Letztlich trainieren viele Unternehmen ihre Mitarbeiter im Bereich Nachhaltigkeit. Warum die Lieferanten nicht einfach dazu einladen? Gerade in der Pandemie haben wir gelernt, wie einfach das über Landesgrenzen hinweg umzusetzen ist.

Zur Lösung des Problems der unterschiedlichen regulatorischen Rahmenbedingungen

Die Sache ist ja gerade die: Menschenrechte und Umweltthemen werden in Risikoländern durch die Regierungen nicht ausreichend adressiert oder es fehlen ihnen adäquate Instrumente zur Durchsetzung. Daher kommt es regelmäßig zu tragischen Unfällen, wie zum Beispiel dem Einsturz des Fabrikgebäudes Rana Plaza in 2013, bei dem über 1.000 Menschen starben. Die Erwartung von Stakeholdern an einkaufende Unternehmen ist es daher, eben diese Lücke zu schließen. Daher müssen sich Unternehmen diesem Problem stellen. Die Lösung ist der Rückgriff auf international etablierte Standards im Bereich Umwelt und Soziales wie zum Beispiel definiert durch die UN Sustainable Development Goals.


Ob nun freiwillig (Zuckerbrot) oder nicht (Peitsche) – eines ist klar: Nicht handeln ist keine Option. Denn der Druck auf Unternehmen hin zu mehr Nachhaltigkeit wächst auf allen Ebenen.



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